Neues Jahr, alte Probleme. Oder: Die Leiden eines Fans, der nicht aufsteigen, aber trotzdem jedes Spiel gewinnen will. Soweit das sportliche. Nein, halt. Die Geschichte des 9.2.2014 beginnt auch sportlich. Aber alles hübsch der Reihe nach…
Es brummt neben mir. Plastik, das auf Holz vibriert. Ich schaue auf das Display meines Handys, das zwecks Weckfunktion auf Kopfhöhe meines Bettes liegt. Damian, lese ich, meine Gedanken sind zwar
noch etwas wirr, trotzdem gehe ich ran. Am anderen Ende der Leitung will Damian wissen, wann ich denn in den Zug steigen wollte und ob wir uns also in Düsseldorf zum Umsteigen treffen
würden.
Es braucht einen Moment, ein schneller Blick auf den Wecker auf der Fensterbank. Und dann steht nur noch ein einziges Wort in meinem Gehirn, während ich einen großen Schock verdaue.
FUCK!
Während ich mich in höchster Eile anziehe gehe ich im Kopf die Optionen durch: Der Zug der Bonner ist also jetzt am Kölner Hauptbahnhof. Unsere Bahn Richtung Hamm fährt wann nochmal in Köln ab? Ach ja, in nicht mal 20 Minuten. Mit der Bahn? Unmöglich zu schaffen. Mit dem Fahrrad? Unmöglich zu schaffen. Oder? Ein leichter Hoffnungsschimmer am Horizont! Trotz größtmöglicher Hektik schaffe ich es, meine Hosentaschen durchzuchecken (wichtig), meine Kontaktlinsen einzusetzen (sehr wichtig!) und mein Bier aus dem Kühlschrank in eine Tüte zum Mitnehmen zu befördern (überlebenswichtig!).
Während ich auf dem Fahrrad in einer Geschwindigkeit durchs sonntagmorgendliche Köln rase, bei der Lance Armstrong vor Neid vermutlich sein verbliebener Hoden abgefallen wäre, vertreibt der
Fahrtwind langsam die Müdigkeit aus meinem Kopf. Glücklicherweise springen alle Ampeln vor mir wie von Zauberhand auf Grün, so dass ich nicht einmal anhalten muss. Ehrlich wahr, Herr
Wachtmeister! Zum Glück ist selbst in einer Millionenstadt um diese Uhrzeit noch nicht allzu viel auf den Straßen los.
Während dieser 4,8km (Ich habe das tatsächlich interessehalber mal bei Google Maps eingegeben) kann ich mich auch dunkel an das Klingeln meines Weckers um 7:00Uhr morgens erinnern. Ja, Sieben
Uhr! Ganz entspannt aufstehen, frühstücken und Sachen packen, das war mein Plan. Tja, ich hatte im Halbschlaf wohl nicht die Snooze-Taste gedrückt, um in 10 Minuten wieder geweckt zu werden,
sondern den Wecker ganz ausgeschaltet. Großes Kino! Und was passiert wäre, hätte Damian mich nicht geweckt, will ich mir gar nicht ausmalen.
Mein Körper protestiert ob dieser Dummheit nun mit einem Puls von locker 200, mein ausgetrockneter Mund verlangt vehement nach etwas Feuchtigkeit.
Als ich über die Domplatte rase, auf der die Frühaufsteher unter den Touristen mich vermutlich für irgendeinen Straßenkünstler halten, wird die Hoffnung zur Gewissheit als ich die große
Bahnhofsuhr vor mir erblicke: Mir bleiben noch knappe 5 Minuten bis zur Abfahrt. 19 Minuten geschätzte Fahrzeit, sagt Google Maps. Lachhaft!
Ich trage mein Fahrrad die Treppen zum Bahnhofseingang herunter und stoße auf eine kleine Gruppe Kölner Fans, die sich schon für das Heimspiel gegen Paderborn warmtrinken. Sie halten mich
zunächst für einen der Ihren und sind dann angemessen enttäuscht als sie die Farbe meines Schals erkennen, wünschen mir aber immerhin viel Glück.
Der Weg zum Gleis ist dann Schaulaufen. Links und rechts stehen hunderte Menschen jubelnd Spalier, feuern mich an und tragen mich so die letzten Meter. Aus den Lautsprechern tönt „Song 2“
von Blur und am Zug angekommen schütteln mir Lokführer und Bürgermeister persönlich die Hand bevor ich einsteige. Der Zug fährt los, ich öffne mein erstes Bier (ein Radler, selbstverständlich)und
genieße meinen Erfolg noch ein wenig. St. Pauli, du treibst mich zu sportlichen Höchstleistungen an, von denen ich nicht einmal im Ansatz zu träumen gewagt hätte!
Während mir noch immer kräftig die Pumpe geht rufe ich Damian an, der natürlich längst über meine Situation Bescheid weiß und die zweite Hälfte meiner Tour de Cologne per Livestream im Internet verfolgt hat. Mein Retter führt mich dann zu bekannten Gleichgesinnten aus Köln, die weiter hinten im Zug Platz genommen haben. Bis in Düsseldorf die Blaubären dazu steigen, bin ich zum Glück einigermaßen wiederhergestellt, das einmal mehr hervorragende Auswärtsfahrt-Catering (Danke!) tut dann sein übriges.
So verläuft die weitere Reise nach Bielefeld ruhig während wir fleißig daran arbeiten, die beiden von Wolff gestellten Geburtstagskästen Astra vor unserer Ankunft zu leeren. Am Hauptbahnhof angekommen reift die Erkenntnis, dass es Bielefeld trotz aller gegenteiligen Aussagen doch gibt. Zumindest ist auf dem sonnenbeschienenen Bahnhofsvorplatz eine Menge los: Es gibt Bielefelder Fans (wenige, zumeist verstreut, stumm), St. Pauli-Fans (deutlich mehr, auch verstreut, Zusammengehörigkeitsgefühl wird aber ab und an durch gemeinsame Gesangseinlagen gestärkt) und Polizisten in Grün und Blau (sehr viele, organisiert, leider ohne Gesänge).
Die Damen und Herren von der Staatsgewalt sind zwar nicht unfreundlich, lassen die Braun-Weißen Fans aber auch nicht in Richtung Stadion losgehen, sondern machen lieber erst noch einmal ein paar
Videoaufnahmen zur Erinnerung. Wir lächeln selbstverständlich freundlich und winken in die Kameras. Erst als noch ein weiterer Zug aus Hamburg ankommt und sich alle ordentlich in Zweierreihen
aufgestellt haben, darf sich die Menge in Bewegung setzen. Der Marsch in richtung Stadion verläuft Ereignislos, vor den ersten Einlasskontrollen werden noch die letzten Biere geleert, dann kann
es endlich losgehen in Richtung Schüco-Arena.
Der Gästeblock ist zum Zeitpunkt unseres Eintreffens schon sehr gut gefüllt, die Sicht ohnehin im Grunde von jedem Platz bescheiden. Mit einem Wellenbrecher und einer Leeren Reihe vor mir kann
ich immerhin das Tor vor dem Gästeblock sehen.
Nach einer schicken Choreo des Heimanhangs beginnt es also endlich, das erste Spiel im Jahre 2014.
All jenen, denen der Bericht bisher zu oberflächlich war, können sich HIER
noch einmal in das Geschehen auf dem Platz vertiefen. Meine Gemütslage während des Spiels war zwar eigentlich gut, vor allem so um die 60. Minute rum, dennoch war ich zu keinem Zeitpunkt des
Spiel wirklich entspannt. Ich glaube im Nachhinein, dass der Elfmeter aus der 8. Minute daran schuld war.
Meine böse Vorahnung sollte sich in letzter Minute bestätigen und so ging es aus dem Stadion mit dem Gefühl einer Niederlage, bei der man irgendwie noch einen Punkt mitnimmt.
Gemessen an den Ereignissen der Hinfahrt war unsere Rückreise komplett Langweilig. Ich war am Ende nur froh, als ich mein Fahrrad vorbildlich abgeschlossen vor dem Kölner Hauptbahnhof
wiederfand.
Die Erkenntnisse dieses Sonntages sind schnell aufgezählt:
1. Zwei Wecker stellen! Oder Mein Handy weiter weg legen, damit ich aufstehen muss um den Wecker abzuschalten.
2. Falls es mit dem Journalismus nichts wird, kann ich notfalls immer noch bei der Tour de France mitfahren. Aber nur auf Etappen, an deren Ende der Zug zum nächsten Auswärtsspiel wartet.
3. 65 Minuten Konzentration reichen nicht, um in Bielefeld 3 Punkte mitzunehmen.
4. Ich freu mich schon wieder auf Samstag. In vertrauter Umgebung im Limes, mit Astra, netten Leuten und einem Heimsieg.
Forza Blaubären! Allez Braun-Weiß!
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